Donnerstag, 11. Dezember 2003
Ost-West-Romanze
Die Vision
Es war ein kleiner stiller See, mitten im Wald. Die Vögel singen, es war warm, aber nicht zu heiß. Ein Steg führt in den See hinein. Sie saßen am Ende des Steges und unterhielten sich über die Zukunft, dachten nach über einen gemeinsamen Weg, über ihre Ideen, dem Leben noch mal eine neue Richtung zu geben. Es war ein langes Gespräch. Die Ängste, die beide hatten waren ihnen klar und machte sie fast schwindelig. Aber das war auch die Spannung, etwas Neues, Ungewisses zu wagen. Sie spürten beide, dass dieses Neue nicht bis in alle Einzelheiten ausgelotet werden konnte, dass es nicht möglich war, so weit in die Zukunft zu schauen, um die Sicherheit zu bekommen, dass es gut gehen würde, dass es gelingen würde. Das was sie jetzt tun konnten, war eine Entscheidung für die Gegenwart zu treffen, für einen Weg, von dem sie nicht wissen konnten, wohin er sie führen würde. Der Ernst der Situation war ihnen bewusst und beide erlebten, dass es an der Zeit war, die Verantwortung für etwas zu übernehmen, dass nicht kalkulierbar war. Es gab nur ein Entweder – Oder. Entweder sie würden es schaffen, das zu erreichen, was sie sich vorstellten oder sie würden den Rest ihres Lebens unter einer Brücke schlafen und sich durchs Leben kämpfen. Jetzt galt es, alles auf eine Karte zu setzen.

Natürlich gab es einen Plan und beide waren sich aus darüber einig, dass es zu schaffen wäre. Sie waren nicht dumm, nicht naiv, die Strategie hatte gute Chancen aufzugehen. Die Anspannung war groß, die Nerven waren dem Zerreißen nahe, als sie dann aufstanden, sich bei den Händen fassten und ihren Entschluss besiegelten. Gemeinsam, die Augen geschlossen, sprangen sie hinein in den See. Das kalte Nass war überall um sie herum und prustend, lachend und immer noch an den Händen gefasst, kamen sie wieder an die Oberfläche. Jetzt begann ein neuer Abschnitt in ihrem Leben.

Dabei waren sie so unterschiedlich. Er hatte studiert, war im Westen aufgewachsen, sie hatte ihr Leben lang gearbeitet, mehrere Ausbildungen absolviert, ihren Sohn allein großgezogen, im Osten gelebt. Er war verheiratet, sie war alleinstehend. Der Sohn war noch zu Hause, wollte noch seine Schule beenden, brauchte noch Begleitung, bis er auf eigenen Beinen stehen konnte.
Und dennoch war diese Feuer in ihnen, dass brannte. Sie spürten beide, dass sie noch nicht dort angekommen waren, wohin sie eigentlich wollten, dass es noch mehr im Leben geben musste, als diese Art des Lebens, dass sie jetzt führten. Der starke drang auszubrechen aus der Routine des Lebens, dass bis zum Ende bereits vorgezeichnet zu sein schien, hin zu einer Erfüllung der Sehnsüchte, die in ihnen schlummerten.

Er gab alles auf, zog in ihre Gegend, nahm sich eine kleine Wohnung und suchte sich einen Job, sie fand wieder einen neuen, nachdem sie ein paar Monate arbeitslos war. Sie trafen sich täglich, redeten viel – abends bei Rotwein planten sie die Zukunft und sparten das Geld, dass sie verdienten. Es war eine anstrengende aber auch schöne Zeit. Manchmal erwachten sie morgens eng aneinander gekuschelt, mussten sich beeilen, um zur Arbeit zu kommen. Dann waren wieder sie ruhig und ausgeglichen und alles schien machbar.
In den Ferien packten sie ihr Zelt und reisten quer durch Europa, sahen sich alles an. Jeder Ort, an den sie kamen könnte ihre Zukunft, ihr zukünftiges Zuhause sein. Es war die Zeit des Suchens, des Unterwegsseins. Lange Strände im Süden, warm und atemberaubend, kalte Regionen im Norden mit Nordlicht und einer Natur, die es nur dort gibt, üppig, grün und rau. Alles war möglich, alles war denkbar, wurde erlebt, erfahren, als Chance gesehen und wieder verworfen. Noch waren sie unterwegs.
Dann wieder zurück in Deutschland. Arbeit und Pläne, die Beziehung zueinander wuchs – sie diskutierten und stritten miteinander, versöhnten sich, lernten sich kennen, entdeckten immer wieder Neues und Spannendes am anderen, ohne sich die Luft zum Atmen zu nehmen. Ihr Sohn beendete seine Schule und entschloss sich eine Ausbildung zu machen. Als er neunzehn war, erzählte er, dass er mit seiner Freundin zusammen wohnen wolle. Er war recht früh selbstständig geworden und hatte gelernt, sich in einer Welt der Veränderungen durchzuboxen. Sie war stolz auf ihn.

Im nächsten Urlaub fanden sie dann, was sie suchten. Ein kleines Anwesen in einer Region, die touristisch noch nicht so erschlossen war, ein Haus darauf mit vielen Räumen, renovierungsbedürftig, aber günstig. Das gesparte Geld reichte leicht für das Grundstück und die Renovierung. Sie machten vieles selbst. In der Mittagshitze lagen sie am Strand, sonnten sich, liebten sich, um anschließend wieder zu bauen, zu basteln, zu renovieren. Sie lernten mit jedem Bauabschnitt Neues, machten Fehler, korrigierten sie wieder.
Nach dem Urlaub dann wieder die Arbeit zu Hause, Geld verdienen für die Zukunft. Sie entwickelten einen gemeinsamen Plan, wie sie in Zukunft ihr Geld von ihrem neuen Anwesen aus verdienen wollten, fanden dann eine Idee, wie sie mit ihm ihren Unterhalt verdienen konnten. Regelmäßig hatten sie nun Gäste, die dort eine Zeitlang wohnten, um über ihr Leben nachzudenken und zu sich zu finden. Sie begleiteten sie ein Stück auf ihrem Weg.

Eines abends dann saßen sie am Strand und schauten in den Sonnenuntergang, es wurde langsam kühl, sie kuschelte sich dicht an ihn, sie rauchten gemeinsam eine Zigarette und wussten jetzt endlich, dass sich dieser Aufbruch gelohnt hat. Sie freuten sich auf eine gemeinsame Zukunft. Ihr Sohn kam regelmäßig vorbei und verbrachte seinen Urlaub bei seiner Mutter. Und sogar die Eltern, die nur anfangs nur ein Kopfschütteln für die Beiden übrig hatten ließen sich regelmäßig blicken und verbrachten mit ihnen schöne Tage. Und irgendwie waren sie auch stolz darauf, dass sie es gewagt und geschafft hatten. Natürlich, ein bisschen ordentlicher könnten die Beiden schon sein...

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